Es gibt reichlich Dinge, von denen man zumindest gefühlt zu wenig hat — Zeit zum Beispiel. Da ist es besonders ärgerlich, wenn man dann noch etwas von diesem kostbaren Gut geklaut bekommt — beispielsweise durch Artikel im Internet, die dem Leser keinerlei Mehr- oder Nutzwert bieten und statt Fragen zu beantworten, noch nicht mal neue Fragen aufwerfen.
Der Zeitklau geht um
Ich bin jeden Tag mindestens acht Stunden im Internet unterwegs und lese auf meinen Touren täglich zwischen 10 und 20 Artikel, manchmal auch mehr. Das kostet Zeit, aber das macht nichts, denn ich nutze die darin enthaltenen Informationen, um mein Wissen zu erweitern und auf einem aktuellen Stand zu halten. So funktioniert das für mich.
Leider sorgt ein schleichender Trend aber seit einiger Zeit dafür, dass mein Informationssystem kippt. Ich muss immer mehr Zeit in das Lesen von Online-Artikeln investieren, weil diese oft sehr viel mehr versprechen, als sie letztlich halten können. Das klaut mir Zeit und ärgert mich zunehmend. Klickstarke Überschriften sind so etwas wie der Heilige Gral für Publisher, vom kleinen Blogger bis zum großen Online-Magazin. Als Journalist kann ich das sehr gut nachvollziehen, doch mir fehlt das Verständnis für die zum Teil inhaltslosen Worthalden, die sich hinter den „Klick-mich-schreienden“ Überschriften verstecken.
Liebe Publisher: Nur gute Überschriften für reichlich Visits zu produzieren ist Zeitklau bei Leser!
Zeit haben wir alle nicht genug… (Bild: Kat / flickr.com, Lizenz: CC-BY-SA)
Ein sich selbstverstärkendes Problem
Es gibt Online-Publikationen, bei denen ist der Anteil der Artikel mit starken Überschriften und schwachem Inneren so hoch, dass es schwierig wird, die Stammleserschaft zu halten. Ob das dann auch genauso analysiert wird, darf bezweifelt werden. Stattdessen wird weiter an der Spirale gedreht: Wir brauchen bessere Headlines und Teaser und mehr Artikel! Das verstärkt dann aber nur das eigentliche Problem. Eine gute Überschrift dauert so lange wie der überschriebene Artikel – so lautet eine Journalisten-Weisheit. Doch eigentlich ist damit gemeint, dass man sich mehr Zeit für die Überschrift nehmen sollte und nicht, dass man sich weniger Zeit für den Artikel nimmt.
Mehrwert und Nutzwert heißen die Trümpfe
Wann immer man als Blogger oder Journalist einen Leser für einen seiner Artikel gewinnen konnte, nimmt man ihm einen Teil seiner sehr kostbaren, weil limitierten Zeit. Dafür sollte man den Leser mit einem Mehr- und/oder Nutzwert entschädigen. Das sollte jeder Schreiberling immer im Hinterkopf haben, denn nur so ist der Leser zufrieden und bekommt eine Gegenleistung für seinen Zeitaufwand. Und wer wüsste nicht, dass zufriedene Leser häufiger wiederkommen als unzufriedene?
Es gibt aber noch weitere Gründe, die für hochwertige Inhalte sprechen. So stellt man schnell fest, dass sich gute Inhalte über den Informationswert oder einem konkreten Nutzen viral verbreiten. Das ist oft viel mehr Wert, als alles, was die hippsten SEO-Maßnahmen zu schaffen in der Lage sind. Dazu muss man sich aber ein Stück weit von den Zahlen lösen, denn anfänglich stören sie mehr als sie helfen. Letztlich geht es nicht um den Erfolg eines einzelnen Artikels, sondern um das Gesamtprodukt. Dafür braucht es zufriedene Leser, die gerne wiederkommen und Beiträge auch gerne mit ihrem Netzwerk teilen.
Relevanz – Reputation – Reichweite
Das ist die entscheidende Formel! Nur mit relevanten Inhalten, für die sich die Leser wirklich gerne Zeit nehmen, weil sie dafür etwas zurückbekommen, lässt sich eine positive und nachhaltige Reputation aufbauen. Die Steigerung der Reichweite ist hier letztlich nur die logische Konsequenz, nicht aber das vorrangige Ziel.
Jetzt habe ich euch genug Zeit geklaut – aber ich hoffe ihr habt etwas mitgenommen!
Bildnachweis für das Beitragsbild: Kat / flickr.com, Lizenz: CC-BY-SA
4 Antworten zu “Klaut euren Lesern nicht die Zeit! Gebt ihnen was zurück!”
Ich stimme dir zu 100% zu. Jedwede Internet-Recherche wird zunichte gemacht, wenn ein „Google-Honeypot“ gefunden wird, der zwar all meine Suchbegriffe beinhaltet, die Information dahinter dann aber null und nichtig ist.
Andersrum ist es aber noch vieeeel beknackter, wenn man zum Beispiel ne Lösung für ein kleines (PHP)-Problem sucht. Du findest nen Forums-Beitrag, bei dem exakt dein Problem umschrieben wird und dann scrollst du herunter, nur um dann festzustellen:
„Danke, hab’s selbst gelöst…“
Ich könnt ausflippen, wenn ich sowas lese. Ein „wie denn“ wäre da echt hilfreich.
Dabei liest man doch überall genauso Content is King.
Es heißt aber auch: Mach was Deine Leser wollen.
Und so entstehen letztendlich die Nischen.
Ich wage mal die These: Mit Content verhält es sich wie mit Lebensmitteln.
Die Masse kauft billig im Discounter – und beschwert sich auch nicht über die geringe Qualität.
Die Avantgarde findet das unerträglich und grenzt sich ab, sowohl durch High-End-Konsum, als auch durch entsprechende Kommentierung allerorten.
Kommt dann der Fachmarkt unter Druck und zieht ggf. nach – merkt das der Kunde schnell und wandert ggf. ab.
Und genau so ist das mit dem Onlinepublishing (ich sage bewusst nicht Journalismus, denn das greift zu kurz)
Man muss also selektieren – im echten Leben wie online und das mehr denn je!
Wer liest denn noch Spiegel online!? (Leider ich – dumme Gewohnheit auch)
Was dem einen ausreicht und dem anderen nicht, erfährt man selbst leider immer erst nach der Lektüre. Und das wird wohl auch immer so bleiben. Gott sei Dank kann man sich die tägliche Qualitätslektüre mit modernster Webtechnik bequem zusammenstückeln. Aber provokativ gefragt: Wo ist da denn nun eigentlich das Problem? Oder die Lösung? 😉
Gruß
Boris
Danke für Deinen Kommentar Boris, auch wenn er etwas am Problem vorbei argumentiert. Um Mal bei Deinem Vergleich mit den Lebensmitteln zu bleiben: Wenn ich beim Discounter einkaufe, weiß ich es ist billig und von entsprechender Qualität. Das ist für mich kein Problem, denn ich habe die Wahl und bekomme was ich bezahle.
Ich wollte aber auf was anderes hinaus. Was, wenn Du der Lebensmittelpackung nach ein Bio-Produkt ohne Fleisch kaufst, Du zuhause dann aber feststellst, dass sich hinter der Packung eine billige Frikadelle versteckt? Solche Mogelpackungen gibt es bei den Publishern meiner Beobachtung nach immer öfter und darauf wollte ich hinaus 😉
Die Lösung kann ich nicht schaffen, das müssen die Publisher selbst erledigen. Mein Beitrag sollte zunächst einmal auf das Problem aufmerksam machen.
[…] Dass meine Blogposts hier meist deutlich kürzer sind als meine UPLOAD-Artikel hat letztlich nur einen Grund: Ich konzentriere mich hier auf einzelne Aspekte, während wir beim UPLOAD Magazin grundsätzlich den Anspruch haben, ein Thema komplett und umfassend zu behandeln. Es gibt schon genügend Online-Publisher, die mit Info-Häppchen und generell kürzeren Inhalten handeln. Nicht selten bekomme ich als Leser dort den Eindruck, dass die größte Mühe darauf verwendet wird, den Leser auf die Seite zu bekommen – was er dort dann macht, wie lange er bleibt und wie wohl er sich fühlt, sind dann Nebensächlichkeiten. Das eigentliche Ziel ist nicht die Information oder die Unterhaltung, sondern der Klick. Ich mag es dagegen lieber, wenn man die Leser für ihren Besuch auch mit der Erfüllung ihrer Erwartungen belohnt. […]